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(Zitat aus: Pfister 2007, Raum-Gestaltung-Marketing, 86ff)

1.3.3 Topische-henadische Raumauffassung

In der abendländischen Philosophiegeschichte ist im letzten Viertel des 20. Jahrhunderts das Interesse und Verständnis für asiatische, zumal japanische Raumphilosophie gewachsen. Darüber wurde in einer eigenen Studie ausführlich berichtet. [104] Ist es Zufall, dass dies zur gleichen Zeit geschieht, in der die quantenphysikalischen Erkenntnisse immer mehr an Tiefe und Einfluss gewinnen oder bestehen hier „innere, west-östliche Verbindungen". Dieser Frage nachzugehen ist eines der Hauptmotive gewesen, die vorliegende Studie zu verfassen. In diesem Zusammenhang sind die Analysen und interkulturellen Vergleiche von Thomas Latka aufschlussreich. Er unterscheidet drei Sozialsystemmodelle: das „operative", das „retiv, polyzentrische" und das „retiv, topische"[105]. Im Blick auf operative Systemmodelle betont Latka, dass diese auf der Basis einer zeitlichen Grundkonstruktion beruhen. „Luhmanns eigentliche Leistung besteht demnach darin, von der Substanz auf Zeit als zentrale Grösse zu wechseln. Nicht mehr die simultan agierenden Individuen sind als Substanzen Gegenstand der Soziologie, sondern das zeitliche Nacheinander der kommunikativen Operationen."106 Doch welche Rolle spielt hier der Raum? Er erschien für die Sozialsystem-Modellierung lange Zeit wenig attraktiv und, wie oben erwähnt, konnte Luhmann selbst mit ihm wenig anfangen. Andere Wege der Raum-Wahrnehmung sind im retiv-topischen Systemtyp erkennbar, der philosophisch betrachtet nicht vom Raum, sondern vom Ort (japanisch „basho") ausgeht. Im Blick auf die Systemmodellierung schreibt dann Latka: „In Anlehnung an die Unterscheidung zwischen einem polyzentrischen und topischen Netzverständnis soll hier zwischen einem relationalen und einem topischen Raumverständnis unterschieden werden."[107] Die relationale Raumvorstellung ordnet er als bildhaftes Modell dem Netz zu und bezeichnet demgemäss diesen Systemtyp als „retiv, polyzentrisch".[108] Diese vierte Raumvorstellung wird hier, in Anlehnung an Latka, „topisch- henadische Raumauffassung" genannt.[109] Damit wird der Aspekt der Ganzheitlichkeit stärker herausgestrichen (siehe Kapitel über das Grundmodell des ganzheitlich-nachhaltigen Managements). Bei diesem Raumverständnis sind Raum und Körper/Masse/Materie nicht, wie im absoluten und relativen Raum, dualistisch zu verstehen und auch nicht „nur" als relationale Anordnung von Körpern im Raum. Dieses retiv-topische Modell verweist vielmehr „auf einem sozial erlebbaren Raum, welcher als soziales Feld bzw. Atmosphäre erfahrbar wird. <...> Die Feld-Metapher des Raumes soll verdeutlichen, dass die Raumpunkte selbst vom Raum durchdrungen werden können, d.h. das Verbindende zugleich das Durchdringende ist."[110]

Die nächste Abbildung zeigt nun diese Entwicklung vom relationalen Raumverständnis zum topisch-henadischen, bei dem Menschen und soziale Güter als Teil eines Feldes betrachtet werden - als das „Feld, in dem man sich befindet".111 In dieser auf der japanischen Lehre des Ortes112 basierenden Feldvorstellung verlaufen die Beziehungen zwischen den Knotenpunkten („Ich", „Du" etc.) nicht ketten- oder netzartig direkt (siehe links im Bild), sondern über den Ort, in dem man sich gemeinsam trifft. Japanische Philosophen und Sozialpsychologen verstehen das „Im Ort sein" eines Einzelnen als „Durchlässig-Sein für den Ort" und lehnen somit die Vorstellung von einem Gegenüberstehen von Einzelnem und Ort ab. [113]


Abbildung 15: Polyzentrisches Netz (links) und topisches Netz als Feld (rechts), nach Latka, 2003, S. 227 und 245

Die folgende Abbildung zeigt nun im Überblick die skizzierten vier Raumverständnisse gleichnishaft gedacht in künstlerischen Darstellungen: Oben der absolute Raum mit seinen festen Grenzen, dicht gefüllt und in der christlichen Vorstellung von Gott als Schöpfer geschaffen und von seinem Geist und Segen durchdrungen; im Gegenuhrzeigersinn daneben der relative Raum, der zwar im Einzelnen noch feste Grenzen kennt, aber sich ins Unendliche „verliert" und wo zwischen den einzelnen Räumen eine Leere und damit die Denk- Möglichkeit des leeren Raumes entsteht; dann folgt der relationale Raum, bei dem eine Verortung des Einzelnen nur in Relation zu anderen Lebewesen und sozialen Gütern erfolgen kann, wo durch die Vernetzung von Knotenpunkten das Einzelne als Gegenüber des Anderen und der Welt („Umwelt") erfahren wird; und schliesslich rechts aussen die feldhaft vernetzte, topisch-henadische Raumvorstellung, bei der das Einzelne sozusagen aus dem Ganzen hineinwächst (grosse Steine), sich expliziert, im Feld befindet und über das Feld (im Bild als gestalteter Kieselstein-Grund gezeigt) miteinander verbunden ist. Das Feld wird dabei erkennbar als Atmosphäre, welche den Ort auszeichnet und das im Ort Befindliche durchdringt. Hier sind die Dinge nicht direkt miteinander verbunden wie beim Atomium, sondern über ein gemeinsames räumliches Feld in Beziehung zueinander gestellt. Jedes Element hat selber ein Feld (kreisförmige „Umrahmung" der grossen Steine), wie auch die Gesamtheit. Es geht also nicht um ein Vereinahmen des Einzelnen durch das Ganze (Kollektivismus). Das Einzelne kann vielmehr in der Gesamtheit seine Einzigartigkeit bewahren. Die metaphorischen Bilder der drei klassischen Raumauffassungen zeigen auch die Entwicklung der Behälter-Vorstellung, die im absoluten Raum den Raum betrifft, im relativen die Räume und im relationalen die Knoten (Körper, siehe oben). Was nun aber bedeuten die Kieselsteine Bild114 zum transitiven Raumverständnis? Was durchdringt den Ort, die Stelle, die Masse/Materie? - Energie und Information. Diese vier zentralen Vorstellungen von Raum sind zum Teil nacheinander entstanden, aber bis heute nebeneinander wirksam. So wirkt die absolute behälterartige Raumauffassung im Bereich der Alltags- Aktivitäten im Arealraum, zumal im Eigenraum (Zimmer in Wohnung) nach, die relationale im Wissensraum etc. So, wie die Quantenphysik die klassische Physik ja nicht ersetzt, sondern nur in ihrem Geltungsbereich begrenzt, so können auch hier für Teilräume verschiedene Auffassungen nebeneinander wirksam bleiben.


Abbildung 16: Metaphern für die vier zentralen Raumbegriffen

Die nächste Abbildung soll nun zeigen, worin sich die vier Raumauffassungen zentral unterscheiden, und zwar bezogen auf die drei Äquivalenzbereiche der Quantentheorie: Information (Pfeil links im Bild), Energie (Pfeil nach hinten) und Masse/Materie (Peil nach rechts). Man kann nun erkennen, dass sich die behältermässige Vorstellung, die den Kosmos in der absoluten Raumvorstellung (links vorne) eigen ist, in der relativen Raumauffassung auf Teilräume überträgt (durch Pfeile zwischen den Raumauffassungen dargestellt) und in der klassischen Netz-Knoten-Vorstellung im Alltagsverständnis bis heute weiterlebt, obwohl man sich durch die mikroskopischen Erkenntnisse über die Spaltbarkeit der Atome und die Welle-Teilchen-Vorstellung davon schon seit längerem verabschieden musste. zunächst eine zeitlang in der und Alltagsbereich teilweise Neuere Überlegungen bezüglich dem relationalen Raumverständnis115 erkennen das feldhafte immer mehr. Verbindet man nun die skizzierten ja89 panischen Vorstellungen von Ort, Raum und Durchdringung mit Kernelementen der Quantentheorie, so kommt es sozusagen zu einem „Quantensprung" der Raumauffassung (siehe oben im Bild). Spaltete sich der Energiebegriff in die drei klassischen Raumauffassungen immer her auf (siehe Pfeil nach hinten), so wird er nun wieder umfassend und ganzheitlich, den Lebensraum durchdringend gesehen, wie die Information. Diesbezüglich entsteh eine gewisse Nähe zu Vorstellungen des absoluten Raumes.


Abbildung 17: Entwicklungslinien zwischen zentralen Raumauffassungen.

Welche Konsequenzen haben nun diese raumphilosophischen Überlegungen für die Wirtschaft und die Praxis der Unternehmen - vor allem auch im Blick auf das Realisieren von mehr Nachhaltigkeit und Ganzheitlichkeit? Darauf soll in der Folge eingegangen werden.

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