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Was sind Aufstellungen?

Aufstellungen sind räumliche Anordnungen von untereinander unbekannten Personen, die als Stellvertreter für eigene Familienmitglieder ausgewählt und aufgestellt werden. Diese Stellvertreter werden räumlich aufgestellt und erleben Stimmungen und Kräfte, die eigentlich nur in der tatsächlichen Familie spürbar sind.

Was soll eine Aufstellungstheorie leisten?

Eine Aufstellungstheorie muss zumindest prinzipiell erklären, wie es zu so einem (unerklärlichen) Phänomen kommen kann. Warum erzeugt allein die räumliche Aufstellung von Unbekannten ein soziales Feld, in dem sie Gefühle und Kräfte wahrnehmen, die sie eigentlich gar nicht kennen können?

Auf welche Wissenschaft müsste sich eine Aufstellungstheorie gründen?

Da es sich bei einer Aufstellung um eine Situation handelt, in der mehrere Personen zusammenkommen und interagieren, ist zunächst einmal eine Wissenschaft dafür zuständig, die sich mit der Begegnung und Interaktion von mehreren Personen beschäftigt: die Soziologie.

Was kann die Soziologie zur Aufstellungsarbeit sagen?

Wenn man innerhalb der Soziologie nach Theorien oder Modellen sucht, mit denen räumliche Aufstellungen erfasst werden können, dann stellt man zunächst fest: der Raum als sozialer Raum hat in der Geschichte der Soziologie keine große Beachtung gefunden. D.h. eigentlich war die gesamte Soziologie immer raumblind, man spricht sogar von der "Raumvergessenheit" der Soziologie.

Wie kommt es zur Raumvergessenheit der Soziologie?

Die Raumvergessenheit im allgemeinen ist ein grundlegendes Kennzeichen unserer modernen neuzeitlichen europäischen Philosophie und Folge der analytischen Trennung von Raum und Zeit. Denn die Trennung von Raum und Zeit, ebenso wie die von Geographie und Geschichte, Natur und Kultur war geradezu kennzeichnend für das Denken der neuzeitlichen Philosophie.[753] Spätestens mit Descartes begann die mehr oder weniger bewusst vollzogene Trennung von Raum (res extensa) und dem denkenden, zeitlichen Ich (res cogitans). Bei Kant findet die Trennung von Raum und Zeit gerade seinen Höhepunkt, wenn er in seiner „transzendentalen Ästhetik" Raum und Zeit als die inneren Bedingungen der Möglichkeit von Erkenntnis formuliert.

Doch gleichberechtigt werden Raum und Zeit nur selten behandelt. Es ist stets die Zeit, die sich über den Raum erhebt. So zumindest sieht es Gosztonyi[754] in seiner umfassenden Untersuchung zur Geschichte des Raumes in der Philosophie. Er nennt folgende Belege: Kant führt in der „transzendentalen Ästhetik" den „äußeren Sinn", dessen Form der Raum ist, auf den „inneren Sinn" zurück, dessen Form die Zeit ist.[755] Für Kierkegaard ist der Raum nur eine Verräumlichung der Zeit, und damit inhaltslos und ein „Nichts".[756] Heidegger stellt in „Sein und Zeit" das menschliche Sein auf die Zeitlichkeit und leitet die Räumlichkeit davon ab[757]. Henry Bergson setzt auf die Zeit und die Dauer und versucht sich damit von der „Tyrannei der Raumvorstellung"[758] zu befreien. Nicolai Hartmann bekundet offen: „Raum und Zeit sind ontologisch keine gleichwertigen Kategorien: die Zeit ist um vieles fundamentaler als der Raum. Räumlich sind nur die Dinge und die Lebewesen ...; zeitlich aber sind außerdem auch die seelischen und geistigen Vorgänge."[759] Oswald Spengler begreift in seiner „Philosophie des Werdens" den Raum als erstarrte Zeit und identifiziert damit Raum und Tod.[760]

Es ließen sich mit Gosztonyi zahlreiche weitere Stellen anfügen, die den Verdacht erhärten, dass in der modernen westlichen Philosophie die Zeit stets den Vorrang vor dem Raum erhält. So lässt sich durchaus behaupten, dass der Raum in der modernen westlichen Philosophie häufig nichts weiter ist als der negativ zu bewertende Gegensatz zur Zeit, zur Evolution und damit zum Leben.

Das mag daran liegen, dass Zeit immer als die eine erscheint, der Raum hingegen immer in ganz verschiedener Weise auftritt. Die Zeit erscheint als das sich selbst vereinende, der Raum hingegen wird stets in verschiedener Weise wahrgenommen und gelangt damit nicht an die Universalität der einen Zeit heran. Für Universalität beanspruchende Modelle und Theorien bietet sich daher die Kategorie der Zeit als Nährboden eher an als die Kategorie des Raumes.

Doch nicht nur in der Philosophie sondern auch in der in der noch relativ jungen Disziplin der Soziologie bekamen zeitliche Bestimmungen den Vorrang vor räumlichen.[761] Vielleicht gerade deshalb, weil die gesellschaftlichen Umwälzungen daraus hinausliefen, dass der Raum, verstanden als natürlicher Rahmen, immer weniger als Bedingung sozialen Geschehens fungiert. Ein so verstandener „Behälterraum" im Sinne von geographischer Lage, natürlichen Örtlichkeiten oder Territorien verliert berechtigterweise an Bedeutung für das soziale Geschehen und damit auch für das dahinter liegende soziologische Modell. So ist es vor diesem Hintergrund auch nicht verwunderlich, wenn sich namenhafte Soziologen dafür aussprechen, dass räumliche Aspekte in ihrer Betrachtung bewusst vernachlässigt werden. Berger/Luckmann bekennen offen: „Die Alltagswelt ist räumlich und zeitlich strukturiert. Ihre räumliche Struktur ist für unsere Überlegungen ziemlich nebensächlich. ... Wichtiger für uns ist die Zeitstruktur der Alltagswelt."[762] Parsons bekennt: „While the phenomena of action are inherently temporal ... they are not in the same sense spatial."[763] Auch hier ließen sich leicht weitere Quellen nennen, welche die Schlussfolgerung erlauben, „... dass das Nacheinander und nicht das Nebeneinander, Diachronie (Veränderung, die aus zeitlicher Differenz resultiert) und nicht Synchronie (Veränderung, die aus simultaner Differenz resultiert) die Hauptrichtungen im Denken moderner Gesellschaftswissenschaften prägen."[764]

Wieso diachrone Bestimmungen des Sozialen und damit insbesondere operative Sozialsystem-Modelle im beginnenden 21. Jahrhundert so aktuell sind, mag verschiedene Ursachen haben. Nicht ganz unbeteiligt daran sind daher sicher auch aktuelle gesellschaftlichen Entwicklungen der Informationstechnologie: Auch wenn schon das Telefon dafür sorgte, dass räumliche Hindernisse für soziales Geschehen immer weniger eine Rolle spielten, so hat doch wesentlich erst das Internet dazu beigetragen, diese Form von Raumüberwindung bewusst zu machen. Der Raum erscheint als überwundenes Hindernis, die Zeit als die eine universale Zeit, und damit als Gewinner des Globalisierungsprozesses. Gerade die universale Zeit entspricht dem Ideal des wirtschaftlichen Kalküls, es nur noch mit einer einzigen knappen Ressource zu tun zu haben. Anstatt sich mit mehreren Raum-Zeiten zu beschäftigen, kann man sich damit begnügen, die eine universale Zeit zu managen. Es kommt nur noch darauf an, der schnellste zu sein, wo, ist fast schon egal. Der Bedarf nach Orientierung in einem zeitgetriebenen Markt spiegelt sich daher auch zu einem großen Teil in der Rezeption von zeitgetriebenen Bestimmungen des Sozialen: Operative Sozialsystem-Modelle entsprechen damit dem ‚Zeitgeist' eher als raumgebundene Modelle.

Spannt man einen weiten Bogen zwischen Vertretern von räumlichen und zeitlichen Modellen, sowohl in Philosophie als auch in Soziologie, dann können Konflikte zwischen widerspenstigen Theoriemodellen vor diesem Hintergrund vielleicht eine neue Qualität erhalten, wie auch Foucault erkannte: „Vielleicht könnte man sagen, daß manche ideologischen Konflikte in den heutigen Polemiken sich zwischen den anhänglichen Nachfahren der Zeit und den hartnäckigen Bewohnern des Raumes abspielen."[765]

Wie kann man die "Raumvergessenheit" der Soziologie überwinden?

Ca. seit dem Beginn des 21. Jahrhunderts spricht man von einem spatial turn in den Gesellschaftswissenschaften, der den ausgeblendeten Raum wieder in den Kern der Beobachtung und Theoriebildung zurückholen will. So gibt es mittlerweile einige Arbeiten und sogar Habilitationen, die den Raum in der Soziologie rehabilitieren.

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Löw


Damit der Raum in der Soziologie angemessen verstanden werden kann, ist es wichtig vier grundlegende Raumvorstellungen zu unterscheiden, darunter inbesondere den Unterschied zwischen einem relationalen und einem topischen Raum.

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