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  • Phänomenologie als Anwalt der unwillkürlichen Lebenserfahrung

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((61)) In ((12)) und ((13)) geht Schröter von der Physik im Allgemeinen zu der von mir in ((27)) - ((29)) angesprochenen Physik der Zeit über. Nach wenigen Zeilen führt ein eigenmächtiger Klammerzusatz seine Polemik auf Abwege. Ich behaupte nach ihm, daß „sich keine eindeutige Richtung (der Lagezeit) ermitteln" läßt. Ich denke nicht daran, der bloßen Lagezeit eine Richtung zuzutrauen; meine These ist vielmehr, daß sich für beliebige Prozesse eine Richtung nur aus dem Fluß der Zeit in dem in ((28)) angegebenen Sinn und damit aus der Modalzeit gewinnen läßt. Diese Pointe hat Schröter nicht verstanden, weil er den Unterschied zwischen einem gerichteten Ablauf oder Prozeß und einer „Signal- oder Kausalrelation", wovon er statt dessen in ((12)) spricht, ignoriert. Eine solche Relation linearer Ordnung zeichnet keine Richtung eines Ablaufs aus, denn die Anordnung durch die Relation des Früheren zum Späteren im abstrakt mathematischen Sinn stimmt genau überein mit der Anordnung durch die Relation des Späteren zum Früheren. Das gilt auch für die mit fragwürdigem Recht so genannten irreversiblen Prozesse, die man gemäß dem Zeitbegriff der theoretischen Physik nach Belieben als monoton wachsende oder monoton abnehmende Anordnungen auffassen kann. Sobald man freilich von der Gegenwart des Beobachters spricht, hat man den Fluß der modalen Lagezeit eingeholt, aber nur verbal; in der Tat ist man aus der physikalischen Theorie in die unwillkürliche Lebenserfahrung hinübergesprungen, denn für die Physik ist Gegenwart irgend ein Zeitpunkt, und daß es einen vor allen anderen Zeitpunkten ausgezeichneten, den gegenwärtigen, gibt, kommt in ihr nicht vor.
((62)) Unter ((13)) bestreitet Schröter, daß es zwischen spezieller und allgemeiner Relativitätstheorie einen Unterschied im Zeitbegriff gebe, weil die spezielle Theorie ein Spezialfall der allgemeinen sei. Das ist schon logisch nicht korrekt, denn vom speziellen Fall darf man nicht auf den allgemeinen schließen. Abgesehen davon sehe ich den Unterschied darin, daß man fdr die spezielle Relativitätstheorie Prozesse benötigt, in der allgemeinen aber mit Ordnungsrelationen (a B. Signalrelationen) auskommt. Auf diesen Unterschied habe ich gerade aufmerksam gemacht. Zu dem Einwand, die allgemeine Relativitätstheorie sei nicht statisch, s. o. ((55)).

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((87)) Vom Schöpfen ärztlicher Klugheit aus Situationen komme ich zur Zurückführung der geschöpften Konstellationen bei der Anwendung natur wissenschaftlichen Wissens auf den Patienten. Grundlegend ist dafür die Einsicht, daß Kontakte unter Menschen immer leibliche Kommunikation vom Typ der Einleibung in gemeinsamen Situationen sind, und dann, wenn der andere (die anderen) gegenüber ist (sind), vom Typ der antagonistischen Einleibung (im Medium der Bewegungssuggestionen und synästhetischen Charaktere). Wichtigstes Werkzeug der Passung, nach der sich Burger in ((10)) erkundigt, ist dabei die Schwingungsfähigkeit der leiblich-personalen Fassung. (Näheres zu diesem Thema: Was ist Neue Phänomenologie7 S.

((88)) Von großer Bedeutung für den Kontakt des Arztes mit dem Patienten ist die Bahnung sprachlicher Verständigung, wobei es in diesem Zusammenhang in erster Linie um das leibliche Befinden geht. Ich bin nicht der Meinung, daß die Patienten, um mit dem Arzt eine gemeinsame Sprache zu finden, in die Terminologie der Neuen Phänomenologie über leibliche Räumlichkeit, leibliche Dynamik und leibliche Kommunikation eingeführt werden müßten. Wenn aber die Arzte sich dieser begrifflichen und terminologischen Erschließung des Gegenstandsgebietes des am eigenen Leib Spürbaren annähmen, hätten sie es leichter, auf die oft unklaren Andeutungen der Patienten verständnisvoll einzugehen und diese so zu führen, daß die Patienten sich in ihrem leiblichen Befinden genauer zu orientieren lernten. Das wäre auch deswegen von Vorteil, weil der Verstiegenheit entgegengewitkt werden könnte, daß die Menschen immer mehr ihren spürbaren Leib übersehen und ihren Körper nach angelernten Schemata der Physik und Chemie beobachten und beurteilen - u. a, weil sie oft zum Arzt gehen und in den Medien vielerlei über Resultate naturwissenschaftlicher Medizin hören oder sehen.

((89)) Speziellere Beiträge der Neuen Phänomenologie zur somatischen Medizin betreffen u. a. den Schmerz (Was ist Neue Phänomenologie? S. 222-226), Spannung und Entspannung als therapeutische Techniken im Zusammenhang mit Leibinselbildung (System der Philosophie Band II Teil 1 S. 151-169, 274-281), Parästhesien bei Diabetes und orthopädische Probleme im Zusammenhang mit abgespaltenen Leibesinseln. Ich habe einmal die Hypothese aufgestellt, daß es bei Schleudertraumen weniger um die Heilung körperlicher Schäden geht, als um die Reintegration einer durch privative Engung des Leibes abgespaltenen Leibesinsel in das motorische Körperschema. Die Orthopädie könnte für die Neue Phänomenologie fruchtbar werden (Rückenprobleme). Noch mehr Zugänge dürfte diese aber zu Verständnis und Behandlung psychischer Krankheiten haben. Was ich über Depression und Schizophrenie sagen kann, steht in System der Philosophie Band IV 5. 322-331 bzw. 415-473 und wird, soweit letztem betroffen ist, in dem Buch Schizophrenie - eine philosophische Krankheit? der Nervenärztin A. Moldzio (Würzburg 2004) der therapeutischen Praxis zugefühn über psychotherapeutisch behandelbare Störungen in phänomenologische; Perspektive findet man Entsprechendes in dem Buch von mir, Gabriele Marx und Andrea Moldzio Begriffene Erfahrung. Beiträge zur ct, ntireduk. zionistischen Phänomenologie (Rostock 2002) sowie in meinem Buch Leib und Gefühl (mit dem von mir nicht zu verantwortenden Untertitel: Materialien zu einer philosophischen Therapcutik), hg. v. H. Gausebeck und G. Risch, 2. Auflage Paderborn 1992.

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