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Feinstoffliche Körper in den Weltkulturen - J.J.Poortman und der „hylische Pluralismus"

Autor: Marco Bischof

Eine gekürzte Fassung dieses Textes wurde unter dem Titel „Jenseits des Materiellen" in „KGS" (Berlin), Nr.5 (2002), S.24-26 veröffentlicht.
 © copyright by Marco Bischof 2002

Das Konzept der feinstofflichen Körper, und mehr noch die damit zusammenhängende Vorstellung, dass es mehr als eine Art Materie gibt, könnte sich als einer der Schlüssel für eine ganzheitliche, das Spirituelle einbeziehende Wissenschaft erweisen. Zu diesem Schluss kommen heute immer mehr integrale Denker. Damit ist es an der Zeit, sich eingehender mit den verschiedenen Vorstellungen über feinstoffliche Körper in den Weltkulturen auseinanderzusetzen, über die es aber leider nicht viele verlässliche Arbeiten gibt.  Umso überraschender, dass das einzigartige Werk „Ochema" (Titel des holländischen Originals) bzw. „Vehicles of Consciousness" (in der englischen Übersetzung) des holländischen Philosophen Johannes Jacobus Poortman (1896-1970) bisher ein nur wenigen bekannter Geheimtip geblieben ist. Dies scheint sich nun zu ändern, und das vierbändige Werk, das eine umfangreiche Geschichte der Vorstellungen von feinstofflichen Körpern in den Weltkulturen und eine philosophische Auseinandersetzung damit enthält, dürfte bald eine wichtige Rolle in dieser Diskussion spielen. So wies Michael Murphy, „Vater der Human-Potential-Bewegung", Gründer des Esalen-Instituts in Kalifornien und Autor des Buches „Der Quantenmensch", im Februar vor einem Jahr in einer Konferenz des Zentrums über das „Überleben des körperlichen Todes" darauf hin, dass die Diskussion über das Leben nach dem Tod, aber auch diejenige über das Wesen unserer körperlichen Manifestation, durch die Einbeziehung des Werkes von Poortman auf einer neue Basis gestellt werden könnte. Auch auf Ken Wilbers Website wird seit kurzem auf Poortman hingewiesen. Poortman verbrachte nach seinem Doktorat in Philosophie an der Universität Amsterdam die Jahre 1935-36 als Research Fellow an der Harvard University, war später Bibliothekar der niederländischen Theosophischen Gesellschaft, Redakteur einer Enzyklopädie, in den Jahren 1945-53 Dozent an der Universität Leiden und hatte schliesslich 1958-1967 an derselben Universität eine Stiftungsprofessur für „Metaphysik im Geiste der Theosophie" inne. Sein Hauptwerk, von dem hier die Rede ist, ist unter dem Titel „Ochema" 1954-67 auf holländisch erschienen, wurde einem weiteren Kreis aber erst durch die englische Übersetzung bekannt, die 1978 von der Theosophischen Gesellschaft der Niederlande unter dem Titel „Vehicles of Consciousness" herausgegeben wurde. Seine aussergewöhnliche Bedeutung liegt, mehr noch als in der ausführlichen historischen Darstellung der Vorstellungen von feinstofflichen Körpern in den Weltkulturen, in der Aufstellung und Diskussion des Begriffs eines „hylischen Pluralismus". Wie Poortman schreibt, besteht  „die Welt nicht nur aus Materie, die für unsere Sinne direkt wahrnehmbar ist, sondern umfasst auch eine Reihe von Formen subtilerer Materie, die als Vehikel eines nichtmateriellen, beseelenden Bewusstseins dienen". Der neuplatonische Begriff „Ochema" (Gefährt, Vehikel, Gefäss), den Poortman als Titel der Erstausgabe seines Buches wählte, bezeichnet die Rolle dieser subtilen Materieformen als Komponenten des menschlichen Organismus, während der Begriff des „hylischen Pluralismus" – abgeleitet von der altgriechischen Materie-Bezeichnung „Hyle" – für die Auffassung steht, dass es neben der soliden, fassbaren Materie eine Reihe weiterer, feinstofflicher Arten von Materie gibt.  Wie Poortman zeigt, hat das Konzept des Hylischen Pluralismus zu allen Zeiten und in vielen Kulturen ein wichtige Rolle im Denken der Menschheit gespielt; der holländische Gelehrte ist ist der erste moderne Philosoph, der dieses Thema in solcher Ausführlichkeit behandelt hat.   Es ist eine der grundlegendsten Annahmen der westlichen Kultur, dass sich die Welt und der Mensch erklären liessen aus dem Gegensatz zwischen räumlich ausgedehnter Materialität ohne psychisch-geistige Eigenschaften (die als einzige objektive Realität empfunden und ausschliesslich der „Aussenwelt" zugewiesen wird) und dem Geist bzw. der Psyche / des Bewusstseins, der keine räumliche Ausdehnung und Materialität zugeschrieben und die in die „Innenwelt" verwiesen wird. Dieser sogenannte „kartesische Schnitt" kennzeichnet das Weltbild, das Poortman als „monistischen Materialismus" charakterisiert, nämlich die Auffassung, dass nur Materie existiert, und zwar nur eine Art von Materie – die gewöhnliche, grobstoffliche Materie, wie sie von den Naturwissenschaften studiert wird. In diesem Weltbild existieren Psyche, Seele, Bewusstsein usw. nicht bzw. haben keine unabhängige Existenz, sondern sind blosse Begleiterscheinungen der materiellen Prozesse und können auf diese zurückgeführt werden. Der hylische Pluralismus hingegen ist einer anderen Form des Materialismus ähnlich, nämlich dem, was man mit einem in der Philosophie gebräuchlichen Begriff einen „dualistischen Materialismus" nennen könnte: der Auffassung, dass zwar alles materieller Natur ist, dass es aber neben der gewöhnlichen, groben Materialität unserer Naturwissenschaft noch einen zweiten Typ von Materie, nämlich „feinstoffliche Materie" gibt, die vor allem in Lebewesen von grosser Bedeutung ist. Nun kommt aber die Idee einer „zweifachen Körperlichkeit", d.h. einer Koexistenz von grober und feiner Körperlichkeit, nicht nur im Zusammenhang mit dem eigentlichen dualistischen Materialismus vor, nach dem es nur zwei Arten von Materie, aber nichts Höheres als Materie gibt, sondern auch im Zusammenhang mit der Auffassung, dass es neben den zwei Materiekategorien noch eine tiefste Realität spiritueller Natur gibt. Deshalb erschien Poortman der Begriff des „dualistischen Materialismus" zu eng, und er schlug die Verwendung des Begriffes „hylischer Pluralismus" vor, um mit seiner Hilfe zu einer generelleren Unterscheidung von Weltbildern zu kommen. Poortman unterscheidet aufgrund des in seinem Buch zusammengetragenen Materials sechs Typen von metaphysischen Standpunkten, die sich zwischen den zwei Extremen der Annahme einer ausschliesslich materiellen Realität mit nur grobstofflicher Materie, und dem Standpunkt, dass Materie nicht real ist und es nur das Psychische oder Spirituelle gibt, anordnen: (1) der „Alpha-Standpunkt"(monistischer Materialismus): alle Realität ist materiell, es gibt nur gewöhnliche Materie; (2) der „Beta-Standpunkt" (dualistischer Materialismus): ohne Annahme einer immateriellen Realität; (3) der „Gamma-Standpunkt": alles ausser Gott ist materiell, auch die Seele; (4) Der „Dalta-Standpunkt": die Seele ist immateriell, benützt aber feinstoffliche Vehikel, speziell nach dem Verlassen des physischen Körpers beim Tod; (5) der „Epsilon-Standpunkt" (anthropologischer Dualismus): der Descartes'sche Standpunkt, absoluter Gegner des hylischen Pluralismus; und der „Zeta-Standpunkt" (psychischer Monismus): absoluter Spiritualismus, wonach die Materie nicht real und alles spirituell oder psychisch ist Die philosophische Grundlegung zu seinem Werk über den Hylischen Pluralismus hatte Poortman bereits in seinem Buch „Zweierlei Subjektivität" gelegt, das er noch als Student verfassst und 1929 veröffentlicht hatte. Darin nahm er Stellung gegen den psychischen Monismus seines Lehrers G.Heymans, Philosophie- und Psychologie-Professor in Groningen, und entwarf die Grundzüge alles dessen, was er in seinen späteren Werken im Detail ausarbeitete. Darin führte er aus, die menschliche Subjektivität müsse zwei unterschiedliche, aber miteinander verknüpfte Aspekte besitzen, nämlich einerseits eine einzige, überindividuelle und immaterielle Bewusstseinsrealität (noetischer Monismus), auf der anderen Seite eine Mehrzahl von Ebenen feiner Materialität (Hylischer Pluralismus). Ausgehend von Kant, führte er die Unterscheidung zwischen einem „Suprasubjekt" und einem „Infrasubjekt" ein. Mit dem Suprasubjekt habe der Mensch Teil am Absoluten, einer überindividuellen, immateriellen Bewusstseinswirklichkeit, wodurch er allgemeingültiges und sicheres Wissen erwerben könne; das Infrasubjekt in uns sei die Grundlage der „subjektiven" Vorstellungen und Meinungen, die wir uns vom Bewusstseinsinhalt bilden, denen aber letztlich immer das Suprasubjekt zugrundeliege. Man kann die von Poortman in „Zweierlei Subjektivität" entwickelte und in seinen späteren Werken ausgebaute Philosophie als eine Philosophie des „Realismus innerhalb des Idealismus" bezeichnen. Ihr zufolge existiert letztlich alles, was es gibt, im Bewusstsein des Selbst (des „Suprasubjektes"); es gibt „nichts ausserhalb von Gott". Gleichzeitig bietet sich dem individuellen Ich (dem „Infrasubjekt") eine unremessliche Vielfalt von Erscheinungen dar, sowohl solche sichtbarer wie auch solche unsichtbarer Natur (der hylische Pluralismus der grobstofflichen und feinstofflichen Materieformen).  Bemerkenswert ist, dass diese Philosophie, nicht zuletzt durch das Konzept des hylischen Pluralismus, eine optimale Grundlage für einen wissenschaftlichen Zugang zur Welt liefert, der alle Aspekte der Realität, vom physisch-biologischen bis zu den parapsychologischen und mystisch-spirituellen, umfasst. Sie könnte somit eine wichtige Brückenfunktion  bekommen für eine Öffnung der Biophysik und anderer naturwissenschaftlichen Disziplinen für Dimensionen jenseits des bloss (Grob-)Materiellen und Biologischen. 

Referenzen

Poortman, J.J. (1929) Tweerlei Subjectiviteit. Ontwerp eener „centrale Philosophie". H.D.Tjeenk Willink & Zoon, Haarlem.
 --- (1978)Vehicles of Consciousness. The Concept of "Hylic Pluralism" (Ochema). 4 Bände. Theosophical Publishing House, Adyar-Madras, London, Wheaton/Illinois.

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