Untergeordnete Seiten
  • Spatial Turn
Zum Ende der Metadaten springen
Zum Anfang der Metadaten

1. Philosophie

1.1 Raumvergessenheit in der Philosophie

In der philosophischen Theoriebildung ist es stets die Zeit, die sich über den Raum erhebt. So zumindest sieht es Gosztonyi

Unknown macro: {footnote}

Gosztonyi 1976. Weiter haben sich in der Philosophie mit dem Raum befasst: Kaulbach 1960; Kanitscheider 1976; Ströker 1977; Schmitz 1998.

in seiner umfassenden Untersuchung zur Geschichte des Raumes in der Philosophie. Er nennt folgende Belege:

  • Kant führt in der „transzendentalen Ästhetik" den „äußeren Sinn", dessen Form der Raum ist, auf den „inneren Sinn" zurück, dessen Form die Zeit ist.
    Unknown macro: {footnote}

    Vgl.: Gosztonyi 1976, 438: „Primär ist also die Zeit, weil sie die Form des inneren Sinnes ist und damit die Sukzession der Bewußtseinsabläufe wie der Bewußtseinsdaten und schließlich die einheitliche Synthese ermöglicht, der Raum hingegen ist sekundär."

  • Für Kierkegaard ist der Raum nur eine Verräumlichung der Zeit, und damit inhaltslos und ein „Nichts".
    Unknown macro: {footnote}

    Vgl: Gosztonyi 1976, 865-868.

  • Heidegger stellt in „Sein und Zeit" das menschliche Sein auf die Zeitlichkeit und leitet die Räumlichkeit davon ab
    Unknown macro: {footnote}

    Heidegger 1993, 369: „Nur auf dem Grunde der ekstatisch-horizontalen Zeitlichkeit ist der Einbruch des Daseins in den Raum möglich."; vgl.: Gosztonyi 1976, 885-899. Vgl. auch die Kritik von Watsuji an Heidegger.

    .
  • Henry Bergson setzt auf die Zeit und die Dauer und versucht sich damit von der „Tyrannei der Raumvorstellung"
    Unknown macro: {footnote}

    Bergson 1989, 166; vgl.: Gosztonyi 1976, 869-873.

    zu befreien.
  • Nicolai Hartmann bekundet offen: „Raum und Zeit sind ontologisch keine gleichwertigen Kategorien: die Zeit ist um vieles fundamentaler als der Raum. Räumlich sind nur die Dinge und die Lebewesen ...; zeitlich aber sind außerdem auch die seelischen und geistigen Vorgänge."
    Unknown macro: {footnote}

    Hartmann 1947, 218; vgl.: Gosztonyi 1976, 980-989.

  • Oswald Spengler begreift in seiner „Philosophie des Werdens" den Raum als erstarrte Zeit und identifiziert damit Raum und Tod.
    Unknown macro: {footnote}

    Spengler 2000, 224: „Die Zeit gebiert den Raum, der Raum aber tötet die Zeit. ... Dieser Raum ist; er steht damit, daß er ist, außerhalb der Zeit, von ihr und damit vom Leben abgelöst. In ihm herrscht die Dauer, ein Stück abgestorbener Zeit ..."; vgl: Gosztonyi 1976, 879-885.

Es ließen sich mit Gosztonyi zahlreiche weitere Stellen anfügen, die den Verdacht erhärten, dass in der modernen westlichen Philosophie die Zeit stets den Vorrang vor dem Raum erhält. So lässt sich durchaus behaupten, dass der Raum in der modernen westlichen Philosophie häufig nichts weiter ist als der negativ zu bewertende Gegensatz zur Zeit, zur Evolution und damit zum Leben.

Traditionsgemäß verkörperte der Raum seit Beginn der westlichen Neuzeit das Materielle, Mechanische, Passive, Ungeistige, dem die Zeit als das natürliche Element des Geistes und die Geschichte als Quelle der Legitimation und Garant für Fortschritt, als komparatives Experimentierfeld der Wissenschaften vom Menschen und Projektionsfläche politischer Utopien, gegenübergestellt wurden.

Unknown macro: {footnote}

Schindl 2007, S. 9.


1.2 "spatial turn" in der Philosophie

Wenn es stimmt, dass die letzten etwa 150 Jahre von einer ontologischen Verzerrung bestimmt waren, die sich in einer epistemologischen Verzerrung ausgedrückt hat, die sich wiederum in einer theoretischen Verzerrung ausgedrückt hat, die sich dann in empirischen Verzerrungen bei der Anwendung solcher Theorien und in der politischen und sozialen Praxis ausgedrückt hat, dann hat diese Verzerrung sich auf jede mögliche Wissensformation dieser Zeit ausgewirkt. Insofern ist unsere Argumentation von erheblicher Substanz. Es handelt sich keineswegs um irgendeinen harmlosen, beliebigen Trend, sondern um den Anfang einer Wissensrekonfiguration von gewaltigem Ausmass. Wenn das stimmt, dann können wir annehmen, dass viel von dem angesammelten Wissen in unseren Bibliotheken und auch in unseren Köpfen, nahezu alles, was wir gelernt haben, ein Defizit in Bezug auf die räumliche Dimension aufweist - da wir 150 Jahre lang nicht trainiert haben, wie mit dem Räumlichen umzugehen sei. (Edward W. Soja: New Twists on the spatial turn, 247. Aus: Döring, Thielmann 2008)

Eine erste, sehr vereinfachte Definition des spatial turn sollte berücksichtigen, dass irgendwann im letzten Jahrzehnt des 20. Jahrhunderts etwas Erstaunliches geschah - etwa, was in der Rückschau des 21. Jahrhunderts vielleicht als eines der bedeutsamsten intellektuellen und politischen Ereignisse des späten 20. Jahrhunderts angesehen werden wird. Einige Individuen, unter ihnen auch Wissenschaftler, fingen damit an, über Raum und räumliche Elemente des menschlichen Lebens ernsthaft und kritisch nachzudenken - und zwar in einer ähnlichen Weise wie schon seit langem über Zeit und die Geschichtlichkeit des menschlichen Lebens gedacht wird. Im Laufe der letzten 150 Jahre haben wir uns daran gewöhnt, die Welt viel eher durch eine historische als durch eine raumbezogene Brille zu sehen. Aber was jetzt geschah, ereignete sich auf interdisziplinärer, transdisziplinärer, ja wenn man so will: pandisziplinärer Ebene. Raumbezogenes Denken ist im späten 20. Jahrhundert aus den tradititionell mit Raum befassten Disziplinen - wie Geographie, Architektur, Städtebau, Regionalwissenschaften, bisweilen auch Soziologie und Kunstgeschichte - ausgebrochen. Die plötzliche Breite des spatial turn ist ueber alle Massen bemerkenswert. (Soja 243, s.o.)

Erst in den 1960er Jahren beginnt die jüngere, eigentliche Geschichte des spatial turn. Es gibt viele Akteure in dieser Geschichte, von denen ich normalerweise zwei in den Mittelpunkt rücke. ... Die beiden Hauptfiguren sind Henri Lefebvre und Michel Foucault. Noch viel Forschung muss betrieben werden, um zu verstehen, wie es möglich sein konnte, dass diese beiden unabhängig voneinander beginnen konnten, unglaublich ähnliche Argumente zu formulieren - zur gleichen Zeit am gleichen Ort. (Soja, s.o, S. 249)

Peter Sloterdijks Urteil über die Situation in der Philosophie lautet: "... nachdem nun die Ära einseitiger Zeitvergötzung abgelaufen scheint, fordert auch der gelebte Raum seine Rechte"

Unknown macro: {footnote}

Im Weltinnenraum des Kapitals. Für eine philosophische Theorie der Globalisierung, Frankfurt a.M. 2005, 11. Vgl. auch die "Notiz" zu Beginn des dritten Bandes der Sphärologie: Peter Sloterdijk, Sphären III: Schäume, Frankfurt a.M. 2004, 13-26.


Hingegen wäre die aktuelle Epoche eher die Epoche des Raumes. Wir sind in der Epoche des Simultanen, wir sind in der Epoche der Juxtaposition, in der Epoche des Nahen und des Fernen, des Nebeneinander, des Auseinander" (Foucault 1999: 145).

...

2. Soziologie

2.1 Raumvergessenheit in der Soziologie

Auch in der in der noch relativ jungen Disziplin der Soziologie bekamen zeitliche Bestimmungen den Vorrang vor räumlichen.

Unknown macro: {footnote}

Ausführliche Analysen finden sich dazu bei: Konau 1977; Läpple 1991; Noller 2000; Löw 2001.

Vielleicht gerade deshalb, weil die gesellschaftlichen Umwälzungen daraus hinausliefen, dass der Raum, verstanden als natürlicher Rahmen, immer weniger als Bedingung sozialen Geschehens fungiert. Ein so verstandener „Behälterraum" im Sinne von geographischer Lage, natürlichen Örtlichkeiten oder Territorien verliert berechtigterweise an Bedeutung für das soziale Geschehen und damit auch für das dahinter liegende soziologische Modell. So ist es vor diesem Hintergrund auch nicht verwunderlich, wenn sich namenhafte Soziologen dafür aussprechen, dass räumliche Aspekte in ihrer Betrachtung bewusst vernachlässigt werden.

  • Berger/Luckmann bekennen offen: „Die Alltagswelt ist räumlich und zeitlich strukturiert. Ihre räumliche Struktur ist für unsere Überlegungen ziemlich nebensächlich. ... Wichtiger für uns ist die Zeitstruktur der Alltagswelt."
    Unknown macro: {footnote}

    Berger/Luckmann 1977, 29. Vgl.: Konau 1977, 4.

  • Parsons bekennt: „While the phenomena of action are inherently temporal ... they are not in the same sense spatial."
    Unknown macro: {footnote}

    Parsons 1968, 45. Vgl.: Konau 1977, 184.

Auch hier ließen sich leicht weitere Quellen nennen, welche die Schlussfolgerung erlauben, „... dass das Nacheinander und nicht das Nebeneinander, Diachronie (Veränderung, die aus zeitlicher Differenz resultiert) und nicht Synchronie (Veränderung, die aus simultaner Differenz resultiert) die Hauptrichtungen im Denken moderner Gesellschaftswissenschaften prägen."

Unknown macro: {footnote}

Noller 2000, 34.


2.2 "spatial turn" in der Soziologie

Der Raum hat die Zeit als prinzipielles Ordnungsprinzip abgelöst. (Latour: Von der Realpolitik zur Dingpolitik, S. 74. Zitiert nach: Döring/Thielmann 2008, S. 129))

Anders als die meisten klassischen Gesellschaftstheorien, die annehmen, der Raum werde von der Zeit dominiert, stelle ich die These auf, dass in der Netzwerkgesellschaft der Raum die Zeit organisiert. (Castells: Der Raum der Ströme, S. 431. Zitiert nach: Döring/Thielmann 2008, S. 130)

...

3. Theologie

3.1 Raumvergessenheit in der Theologie

...

3.2 "spatial turn" in der Theologie

...

Unknown macro: {display-footnotes}

Literatur

Philosophie

  • Peter Sloterdijk (2004), Sphären III: Schäume, Frankfurt a.M.
  • Foucault, M. (1999), „Andere Räume", in: Botschaften der Macht : Der Foucault Reader : Dirksurs und Medien, hrsg. v. J. Engelmann. Stuttgart: DVA, S. 145 bis 157 [zuerst 1967]

Theologie

  • Elisabeth Jooß (2005), Raum. Eine theologische Interpretation, Gütersloh.
  • Magdalene L. Frettlöh (2005): Der trinitarische Gott als Raum der Welt. Zur Bedeutung des rabbinischen Gottesnamens maqom für eine topologische Lehre von der immanenten Trinität, in: Rudolf Weth (2005)(Hg.), Der lebendige Gott. Auf den Spuren neueren trinitarischen Denkens, Neukirchen-Vluyn, 197-232.

Soziologie

  • Konau, Elisabeth (1977): Raum und soziales Handeln. Studien zu einer vernachlässigten Dimension soziologischer Theoriebildung. Stuttgart.
  • Noller, Peter (2000): Globalisierung, Raum und Gesellschaft: Elemente einer modernen Soziologie des Raumes. In: Berliner Journal für Soziologie, 1/2000, S.21-48.
  • Läpple, Dieter (1991): Gesellschaftszentriertes Raumkonzept. In: Wentz, Martin (Hg.): Stadt-Räume, S. 35-46.
  • Löw, Martina (2001): Raumsoziologie. Frankfurt a.M.
  • Schroer, Markus (2006): Räume, Orte, Grenzen. Auf dem Weg zu einer Soziologie des Raumes. Frankfurt a.M.
  • Döring, Jörg; Thielmann, Tristan (Hg.)(2008): Spatial Turn. Das Raumparadigma in den Kultur- und Sozialwissenschaften. Bielefeld. (Einleitung)

Sonstige

(Weitere Quellen im Literaturverzeichnis von "Topisches Sozialsystem")

  • Keine Stichwörter

0 Kommentare